Im Mai 2020 wurde von der Bundesregierung beschlossen, der Deutschen Wirtschaft mit einem Konjunkturpaket aus der Krise zu helfen. Ein wesentlicher Bestandteil war das Paket „Zukunftsinvestitionen für Fahrzeughersteller und Zulieferindustrie“ mit dem Programm Ziffer 35c. Mit €1,5 Milliarden für den Zeitraum 2021 bis 2024 ist dies wahrscheinlich das größte Förderprogramm für einen Industriezweig in der Geschichte der Bundesrepublik. Verantwortlich für die Gestaltung des Programms und den Förderrichtlinien sowie Freigabe der Mittel ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi, genauer das Referat IV A3 unter Ernst Stöckl-Pukall.
Seit Mai 2020 wurden vom Ministerium mit Unterstützung bekannter Förderpartner die Eckpunkte, die Leitthemen und die Grundstruktur des Programms erarbeitet. In insgesamt 7 Workshops an den Tagen vom 02. bis 04.12.2020 wurde das Konzept des Programms sowie die Leitthemen der Öffentlichkeit vorgestellt, u.a. auch mit Impulsvorträgen von Förderpartner / Programmleiter. Dies waren z.B Vertreter von OEM´s (BMW, Daimler, VW), von großen TIER 1 Lieferanten (ZF, Bosch, Siemens), aber auch von namhaften Industriegrößen wie SAP, Telekom, Fraunhofer Institute oder TÜV. Die Workshops wurden vom Referat IV A3 vorbildlich organisiert und moderiert, es waren durchschnittlich immer mindestens 200 Teilnehmer in einer Veranstaltung und es gab Möglichkeiten Fragen zu stellen und zu diskutieren.
Ich möchte das Konjunkturpaket 35c aus dem Blickwinkel der Automotive Mittelständler beleuchten, den Status und die aktuellen (COVID-19) Herausforderungen darstellen sowie auf die Chancen und Risiken eingehen.
Das Konjunkturpaket 35c besteht aus drei Säulen / Modulen:
Industrie 4.0 / Production Lifecycle Management
FuE Förderungen / erweitertes Programm „Fahrzeug- und Systemtechnologien“
Innovationscluster / Transfer
Alle Module und Themen sind für die mittelständischen Automobilzulieferer KMU´s relevant! Es wurde mehrfach in den Workshops erwähnt, dass der Erfolg der einzelnen Programme nur mit aktivem Mitwirken der KMU´s gewährleistet ist! Dies wird besonders bei der Betrachtung durchgängiger Datenstrukturen in den Liefernetzwerken deutlich!
Es wurden in den Workshops u.a. zwei Innovations- / Förder-Plattformen vorgestellt, eine erst vor kurzem gegründete „Automotive Alliance“ (mit u.a. BMW, ZF, Bosch, SAP, Telekom,…) und die schon länger aktive „Plattform Industrie 4.0“ (mit u.a. Bosch, Siemens, Volkswagen,..). Das für alle Workshops durchgängige Thema: DATEN. Ob für durchgängige Lieferantennetzwerke „cradle to grave“, ob für Autonomes Fahren oder für Industrie 4.0: Alles beruht auf DATEN: erfassen, analysieren, bewerten, entscheiden, aktivieren, speichern, vermarkten, bezahlen, Infrastruktur, Rechte, Schutz, KI / Machine Learning, Digital Twins, Blockchain,…. Und nicht nur aus technischer Sicht, auch aus ökonomischer und gesellschaftlicher Sicht wurde diskutiert, wie können wir die Menschen auf diesem langen Transformationsweg mitnehmen…?
Und jetzt zu den mittelständischen Automobilzulieferern:
Stand heute, Dezember 2020 ist das zentrale, alles beherrschende Thema: Liquidität / Cash! Aktuell werden von den KMU´s nur die essentiell unbedingt notwendigen Projekte / Aktivitäten vorangetrieben => keine Ressourcen / Budget für „Digitalisierung“ und mehr…
Viele KMU´s sind noch stark abhängig vom Verbrennungsmotor, teilweise mit über 80% Ihres Produktportfolios (wie z.B. die Schmieden von Pleueln, die Gießereien von Kurbelwellen oder Pumpengehäusen, die Bearbeiter von Ventilen oder Einspritzdüsen, die Hersteller von Abgasanlagen,..) => hier müssen dringend neue Geschäftsmodelle und ein neues Produktportfolio erarbeitet werden!
mich hat besonders der Impulsvortrag von Herrn Dr. Kai Kerber von der Oskar Frech GmbH und Co KG – dem Deutschen Zulieferer für Metall-Gießmaschinen – beeindruckt. Er zeigte folgende Herausforderungen auf:
die heutigen Produktportfolios / Lieferumfänge haben eine große Komplexität / Variantenvielfalt mit stark variierenden Stückzahlen / kurzfristig geänderten Abrufen der Stückzahlen bei extrem hohem Preis- (Wettbewerbs-) Druck => hohe Flexibilität gefordert
ein KMU hat vielfach mit mehreren Kunden und Lieferanten zu tun, die alle unterschiedliche Daten-Schnittstellen aufweisen => Standardisierung der Schnittstellen
beim Thema „Digitalisierung“ konzentrieren sich die KMU´s auf die administrativen Prozesse, kaum ein KMU hat sich schon intensiv mit Industrie 4.0 und ähnlichen Themen beschäftigt
Viele der KMU Fertigungsstätten haben einen Maschinenpark der älter als 10- teilweise 20 Jahre ist. Auch hier sind die SPS Schnittstellen nicht für Industrie 4.0 und Datenübertragung vorbereitet!
Die Datenübertragungsrate in 55% der KMU Fertigungsbetriebe liegt bei maximal 30 Mbit/s!
Die KMU´s haben im Schnitt einen IT Mitarbeiter pro 50 Mitarbeiter. Die KMU´s sind vom Wissen her gar nicht in der Lage, eine Industrie 4.0 IT Infrastruktur aufzubauen und zu unterstützen
Die Investitionskosten für Digitalisierung in Infrastruktur, Software, Schulungen, Neueinstellungen sind sehr hoch, werden vielfach nicht durch Bankkredite unterstützt und haben einen vergleichsweise langen Payback
Was muss passieren – Chancen und Risiken der Automotive KMU´s:
Wir haben aktuell in der Digitalisierung ein Schere zwischen OEM´s / großen TIER 1 Lieferanten und KMU´s, die kontinuierlich weiter aufgeht! Bevor die KMU´s überhaupt auf Augenhöhe mit Ihren Kunden diskutieren und beim Konjunkturpaket aktiv mitgestalten können, müssen ein paar grundlegende Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört als Erstes ein fairer Umgang zwischen Kunden-Einkauf und KMU-Vertrieb bzgl. Vertrags-, Liefer- und Preisgestaltung. Nur wenn ein partnerschaftliches Geschäftsverhältnis existiert, kann man sich auch auf neue Themen wie Datenaustausch und -nutzung unterhalten!
Ich habe in allen Workshops und BMWi Darstellung bislang eine klare Erläuterung vermisst, warum gerade die Automotive KMU´s an den Initiativen „Automotive Alliance“ oder „Plattform Industrie 4.0“ teilnehmen sollen. Natürlich gelten die Themen „Nachhaltigkeit“, „Umwelt- und Ressourcenschonung“, „Effizienz und Geschwindigkeit“ auch für die KMU´s, aber der Nutzen für die OEM´s und großen TIER 1 Lieferanten ist doch offensichtlicher. Es braucht schon auch einen ökonomischen Anreiz, neudeutsch „Incentive“, für alle Beteiligten in Ihren Geschäftsmodellen, um die Programme gemeinsam voranzutreiben!
Und zu guter Letzt: wie wäre es mit „Patenschaften“ von OEM´s und großen TIER 1 Lieferanten für KMU´s, aus Ihrem eigenen Lieferantennetzwerk, um diese erstmal in die Lage zu versetzen, an der Digitalisierung teilzunehmen? Dies könnten beispielsweisen IT-Experten sein, die in die KMU´s bei Digitalisierungsfragen beraten, mit SW-Lizenzen unterstützen oder gar bei Investitionen unter die Arme greifen – Partner in einem Lieferantennetzwerk eben…!
Aktuell ist das Risiko sehr groß, das viele KMU´s in der Transformation auf der Strecke bleiben. Das Konjunkturpaket 35c hilft den KMU´s erst in einem zweiten Schritt bei der Finanzierung Ihrer Digitalen Transformation. Zunächst muss eine Basis geschaffen werden!